Наталья Евгеньева - Literarische Texte als Sprechanlässe im Deutschunterricht
- Название:Literarische Texte als Sprechanlässe im Deutschunterricht
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- Издательство:Литагент БИБКОМ
- Год:2011
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Doch ich blieb und wartete Stunde um Stunde
bis zum Abend vor jenem Haus,
aber die Ratsherren, die drinnen saßen,
trauten sich nicht heraus.
Als es Nacht war, kamen bewaffnete Kerle,
ein Dutzend oder mehr,
die schlugen mir ihre Spieße ins Kreuz
und stießen mich vor sich her.
Vor der Stadt hetzten sie ihre Hunde auf mich,
und die Bestien schonten mich nicht.
Sie rissen mich um und pissten mir noch
ins blutende Gesicht.
Als der Mond schien, flickte ich meine Lumpen,
wusch meine Wunden im Fluss
und weinte dabei vor Schwäche und Wut,
bis der Schlaf mir die Augen schloss.
Doch noch einmal ging ich zurück in die Stadt
und hatte dabei einen Plan,
denn es war Sonntag, die Bürger traten
eben zum Kirchgang an.
Nur die Kinder und die Alten
blieben an diesem Morgen allein,
und ich hoffte die Kinder würden gerechter
als ihre Väter sein.
Ich hatte vorher mein zerfleischtes Gesicht
mit bunter Farbe bedeckt
und mein Wams, damit man die Löcher nicht sah,
mit Hahnenfedern besteckt.
Und ich spielte und sang, bald kamen die Kinder
zu mir von überall her,
hörten, was ich sang mit Empörung
und vergaßen es nie mehr.
Und die Kinder beschlossen, mir zu helfen
und nicht mehr zuzusehn,
wo Unrecht geschieht, sondern immer gemeinsam
dagegen anzugehn.
Und die Hamelner Kinder hielten ihr Wort
und bildeten ein Gericht,
zerrten die Bosheit und die Lügen
ihrer Väter ans Licht.
Und sie weckten damit in ihren Eltern
Betroffenheit und Scham,
und weil er sich schämte, schlug manch ein Vater
sein Kind fast krumm und lahm.
Doch mit jeder Misshandlung wuchs der Mut
der Kinder dieser Stadt,
und die hilflosen Bürger brachten die Sache
vor den hohen Rat.
Es geschah, was heute noch immer geschieht,
wo Ruhe mehr gilt als Recht,
denn wo die Herrschenden Ruhe woll’n,
geht’s den Beherrschten schlecht.
So beschloss man die Vertreibung
einer ganzen Generation.
In der Nacht desselben Tages begann
die schmutzige Aktion.
Gefesselt und geknebelt,
von den eigenen Vätern bewacht,
hat man die Kinder von Hameln ganz heimlich
aus der Stadt gebracht.
Nun war wieder Ruhe in der Stadt Hameln,
fast wie in einem Grab.
Doch die Niedertracht blühte, die Ratsherren fassten
eilig ein Schreiben ab.
Das wurde der Stadtchronik beigefügt
mit dem Stempel des Landesherrn
und besagt, dass die Kinder vom Rattenfänger
ermordet worden wär’n.
Doch die Hamelner Kinder sind nicht tot,
zerstreut in alle Welt,
haben auch sie wieder Kinder gezeugt,
ihnen diese Geschichte erzählt.
Denn auch heute noch setzen sich Menschen
für die Rechte Schwächerer ein,
diese Menschen könnten wohl die Erben
der Hamelner Kinder sein.
Doch noch immer herrscht die Lüge
über die Wahrheit in der Welt,
und solange die Gewalt und
die Angst die Macht in Händen hält,
solange kann ich nicht sterben,
nicht ausruhn und nicht fliehn,
sondern muss als Spielmann und Rattenfänger immer
weiterziehn.
Denn noch nehmen Menschen Unrecht
als Naturgewalt in Kauf,
und ich hetze noch heute die Kinder dagegen
immer wieder auf.
3 Die vorliegende Ballade wurde von dem Liedermacher Hannes Wader 1974 verfasst und stellt eine deutliche Reminiszenz an die Ereignisse des Jahres 1968 in Osteuropa dar. Der Kampf der Demokratie gegen Totalitarismus wird metaphorisch durch den Generationenkonflikt gestaltet. Nehmen Sie Stellung zu dem im Text aufgegriffenen Problem.
1) „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“;
2) „Prager Frühling“;
3) die Reformen durchführen, die für die Bürger größere Freiheiten bedeuten;
4) die Zensur der Presse lockern;
5) das Recht auf freie Meinungsäußerung wieder herstellen;
6) die Reisebeschränkungen aufheben;
7) die Mitsprachemöglichkeiten haben;
8) Es kommt zu Protesten.
9) Die Proteste weiten sich aus.
10) Es kommt zu Massendemonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern.
11) mit Gewalt (Repressionen) reagieren;
12) Veränderungen herbeiführen;
13) Unnachgiebigkeit und jugendlicher Maximalismus im Kampf um die menschliche Würde – „vernunftmäßige“ Neigung zur Ruhe und Kompromissbereitschaft
Gegenseitige Beschuldigungen von Ost und West im Kalten Krieg

1.3 Dialog der Generationen (nach Erich Kästner)
1 Erich Kästner (1899 – 1974) war ein vielseitiger Schriftsteller: Kinderbuchautor, Lyriker, Romanautor, Journalist, Kabarettist … – aber auch ein kritischer Zeitzeuge, Mahner, Erzieher und Moralist. Sein Leben ist von den entscheidendsten Ereignissen des 20. Jahrhunderts nicht zu trennen. Spritzig sprach er vom Kulturbetrieb, glossierte die Kinoszene, merkte Politisches an, kritisierte immer wieder Militarismus, Chauvinismus und den ewigen Spießer im Deutschen.
Die Vielseitigkeit von Kästners Begabung liegt darin, dass er seiner Kindheit treu geblieben ist: „Die Kindheit ist das stille, reine Licht, das aus der eigenen Vergangenheit tröstlich in die Gegenwart und Zukunft hinüberleuchtet. Sich der Kindheit wahrhaft erinnern, das heißt: plötzlich und ohne langes Überlegen wieder wissen, was echt und falsch, was gut und böse ist. Die meisten vergessen ihre Kindheit wie einen Schirm und lassen sie irgendwo in der Vergangenheit stehen. Und doch können nicht vierzig, nicht fünfzig Jahre des Lernens und Erfahrens den seelischen Feingehalt des ersten Jahrzehnts aufwiegen. Die Kindheit ist unser Leuchtturm.“
2 Folgender Text spricht für das Verhältnis Kästners zu Kindern.
etw. auffädeln – etw. auf eine Schnur oder auf einen Faden reihen
das Spalierobst – Pflanzen, die an einem Gitter mst aus Holz, bes an einer Hauswand nach oben wachsen
sich (gegen etw.) sträuben – etw. nicht wollen, sich dagegen wehren
die Büchse – ein Gefäß aus Metall, in dem Lebensmittel konserviert werden; die Dose
j-m etw. zugute halten – etw. als Entschuldigung (für etw. Negatives) berücksichtigen
die Kanzel – der Teil der Kirche, von dem aus der Pfarrer seine Predigt hält
auf j-n Rücksicht nehmen – ein Bestreben haben, auch die Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche usw eines anderen Menschen zu beachten
j-m ist flau – j-d fühlt sich nicht wohl, ihm ist ein wenig übel oder schwindlig
der Wasserkopf – eine krankhafte Ansammlung von Flüssigkeit im Hirn (die zu einer Vergrößerung des Kopfes führen kann)
der Krüppel – ein Mensch, dessen Körper nicht wie üblich gewachsen ist, der Missbildungen o. Ä. hat
etw. leuchtet j-m ein – etw. erscheint j-m logisch und verständlich
sich hüten – etw. aus einem bestimmten Grund, mst aus Vorsicht, nicht tun
die Plempe – kurzer, breiter Degen
der Kürass – der Brustpanzer (eines Ritters)
Gravelotte und Mars-la-Tour – nach den Orten ihrer Austragung benannte Schlachten im August 1870 im deutsch-französischen Krieg 1870/71
in einem fort – veraltend; ununterbrochen, ständig
wacker – tüchtig, tapfer
Liebe Kinder,
da sitzt ihr nun, alphabetisch oder nach der Größe sortiert, zum ersten Mal auf diesen harten Bänken und hoffentlich liegt es nur an der Jahreszeit, wenn ihr mich an braune und blonde, zum Dörren aufgefädelte Steinpilze erinnert. Statt an Glückspilze, wie sich’s gehörte. Manche von euch rutschen unruhig hin und her, als säßen sie auf Herdplatten. Andre hocken wie angeleimt auf ihren Plätzen. Einige kichern blöde, und der Rotkopf in der dritten Reihe starrt, Gänsehaut im Blick, auf die schwarze Wandtafel, als sähe er in eine sehr düstere Zukunft.
Euch ist bänglich zumute und man kann nicht sagen, dass euer Instinkt tröge. Eure Stunde X hat geschlagen. Die Familie gibt euch zögernd her und weiht euch dem Staate. Das Leben nach der Uhr beginnt und es wird erst mit dem Leben selber aufhören. Das aus Ziffern und Paragraphen, Rangordnung und Stundenplan eng und enger sich spinnende Netz umgarnt nun auch euch. Seit ihr hier sitzt, gehört ihr zu einer bestimmten Klasse. Noch dazu zur untersten. Der Klassenkampf und die Jahre der Prüfungen stehen bevor. Früchtchen seid ihr und Spalierobst müsst ihr werden! Aufgeweckt wart ihr bis heute und einwecken wird man euch ab morgen! So, wie man’s mit uns getan hat. Vom Baum des Lebens in die Konservenfabrik der Zivilisation, – das ist der Weg, der vor euch liegt. Kein Wunder, dass eure Verlegenheit größer ist als eure Neugierde.
Hat es den geringsten Sinn, euch auf einen solchen Weg Ratschläge mitzugeben? Ratschläge noch dazu von einem Manne, der, da half kein Sträuben, genau so „nach Büchse“ schmeckt wie andere Leute auch? Lasst es ihn immerhin versuchen und haltet ihm zugute, dass er nie vergessen hat, noch je vergessen wird, wie eigen ihm zumute war, als er selber zum ersten Mal in der Schule saß. In jenem grauen, viel zu groß geratenen Ankersteinbaukasten. Und wie es ihm damals das Herz abdrückte. Damit wären wir schon beim wichtigsten Rat angelangt, den ihr euch einprägen und einhämmern solltet wie den Spruch einer uralten Gedenktafel:
Lasst euch die Kindheit nicht austreiben! Schaut, die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. Ihr Leben kommt ihnen vor wie eine Dauerwurst, die sie allmählich aufessen, und was gegessen worden ist, existiert nicht mehr. Man nötigt euch in der Schule eifrig von der Unter- über die Mittelzur Oberstufe. Wenn ihr schließlich droben steht und balanciert, sägt man die „überflüssig“ gewordenen Stufen hinter euch ab und nun könnt ihr nicht mehr zurück! Aber müsste man nicht in seinem Leben wie in einem Hause treppauf und treppab gehen können? Was soll die schönste erste Etage ohne den Keller mit den duftenden Obstborten und ohne das Erdgeschoss mit der knarrenden Haustür und der scheppernden Klingel? Nun – die meisten leben so! Sie stehen auf der obersten Stufe, ohne Treppe und ohne Haus, und machen sich wichtig. Früher waren sie Kinder, dann wurden sie Erwachsene, aber was sind sie nun? Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch! Wer weiß, ob ihr mich verstanden habt. Die einfachen Dinge sind so schwer begreiflich zu machen! Also gut, nehmen wir etwas Schwierigeres, womöglich begreift es sich leichter. Zum Beispiel:
Haltet das Katheder weder für einen Thron noch für eine Kanzel! Der Lehrer sitzt nicht etwa deshalb höher, damit ihr ihn anbetet, sondern damit ihr einander besser sehen könnt. Der Lehrer ist kein Schulwebel und kein lieber Gott. Er weiß nicht alles und er kann nicht alles wissen. Wenn er trotzdem allwissend tut, so seht es ihm nach, aber glaubt es ihm nicht! Gibt er hingegen zu, dass er nicht alles weiß, dann liebt ihn! Denn dann verdient er eure Liebe. Und da er im Übrigen nicht eben viel verdient, wird er sich über eure Zuneigung von Herzen freuen. Und noch eins: Der Lehrer ist kein Zauberkünstler, sondern ein Gärtner. Er kann und wird euch hegen und pflegen. Wachsen müsst ihr selber!
Nehmt auf diejenigen Rücksicht, die auf euch Rücksicht nehmen! Das klingt selbstverständlicher, als es ist. Und zuweilen ist es furchtbar schwer. In meine Klasse ging ein Junge, dessen Vater ein Fischgeschäft hatte. Der arme Kerl, Breuer hieß er, stank so sehr nach Fisch, dass uns anderen schon übel wurde, wenn er um die Ecke bog. Der Fischgeruch hing in seinen Haaren und Kleidern, da half kein Waschen und Bürsten. Alles rückte von ihm weg. Es war nicht seine Schuld. Aber er saß, gehänselt und gemieden, ganz für sich allein, als habe er die Beulenpest. Er schämte sich in Grund und Boden, doch auch das half nichts. Noch heute, fünfundvierzig Jahre danach, wird mir flau, wenn ich den Namen Breuer höre. So schwer ist es manchmal, Rücksicht zu nehmen. Und es gelingt nicht immer. Doch man muss es stets von neuem versuchen.
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