Стефан Цвейг - Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen
- Название:Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen
- Автор:
- Жанр:
- Издательство:Литагент «АСТ»c9a05514-1ce6-11e2-86b3-b737ee03444a
- Год:2014
- Город:Москва
- ISBN:978-5-17-085076-1
- Рейтинг:
- Избранное:Добавить в избранное
-
Отзывы:
-
Ваша оценка:
Стефан Цвейг - Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen краткое содержание
В книгу вошли три новеллы известного немецкого писателя Стефана Цвейга: «Письмо незнакомки», «Амок» и «Шахматная новелла».
Драматические судьбы героев, любовь на грани жизни и смерти, глубокие душевные депрессии, мастерски описываемые автором, делают его новеллы сегодня особенно актуальными. Произведения подверглись незначительному упрощению, что позволило сохранить как сюжетную линию, так и живой немецкий язык.
Предназначается для изучающих немецкий язык (уровень 4 – для продолжающих верхней ступени).
Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen - читать онлайн бесплатно ознакомительный отрывок
Интервал:
Закладка:
Ich gehe auf sie zu. Sie weicht leicht zur Seite.
„Nein, nein, ich habe kein Fieber… gewiss, ganz gewiss nicht… ich habe mich selbst gemessen, jeden Tag, seit… seit diese Ohnmachten kamen. Nie Fieber, immer tadellos 36,4 auf den Strich. Auch mein Magen ist gesund.“
Ich zögere einen Augenblick. Die ganze Zeit schon prickelt [159]in mir ein Argwohn [160]: ich spüre, diese Frau will etwas von mir, man kommt nicht in eine Wildnis, um über Flaubert zu sprechen. Eine, zwei Minuten lasse ich sie warten. „Verzeihen Sie“, sage ich dann geradewegs, „darf ich einige Fragen ganz frei stellen?“
„Gewiss, Doktor! Sie sind doch Arzt“, antwortete sie, aber schon wendet sie mir wieder den Rücken und spielt mit den Büchern.
„Haben Sie Kinder gehabt?“
„Ja, einen Sohn.“
„Und haben Sie… haben Sie vorher… ich meine damals… haben Sie da ähnliche Zustände gehabt?“
„Ja.“
Ihre Stimme ist jetzt ganz anders. Ganz klar, gar nicht mehr nervös. „Und wäre es möglich, dass Sie… verzeihen Sie die Frage… dass Sie jetzt in einem ähnlichen Zustande sind?“
„Ja.“
Wie ein Messer scharf und schneidend lässt sie das Wort fallen.
„Vielleicht wäre es da am besten, gnädige Frau, ich nehme eine allgemeine Untersuchung vor… darf ich Sie vielleicht bitten, sich… sich in das andere Zimmer hinüber zu bemühen?“
Da wendet sie sich plötzlich um. Durch den Schleier fühle ich einen kalten, entschlosseneren Blick mir gerade entgegen. „Nein… das ist nicht nötig… ich habe volle Gewissheit über meinen Zustand.““
Die Stimme zögerte einen Augenblick. Wieder blinkert im Dunkel das gefüllte Glas.
„Also hören Sie… aber versuchen Sie zuerst einen Augenblick sich das zu überdenken. Da drängt sich zu einem, der in seiner Einsamkeit vergeht, eine Frau herein, die erste weiße Frau betritt seit Jahren das Zimmer… und plötzlich spüre ich, es ist etwas Böses im Zimmer, eine Gefahr. Denn was sie von mir wollte, wusste ich ja, wüsste ich sofort – es war nicht das erste Mal, dass Frauen so etwas von mir verlangten, aber sie kamen anders, kamen verschämt oder flehend, kamen mit Tränen und Beschwörungen. Hier aber war eine männliche Entschlossenheit… von der ersten Sekunde spürte ich, dass diese Frau stärker war als ich… dass sie mich in ihren Willen zwingen konnte, wie sie wollte… Aber… aber… es war auch etwas Böses in mir… der Mann, der sich wehrte, irgendeine Erbitterung, denn… ich sagte es ja schon… von der ersten Sekunde, ja, noch ehe ich sie gesehen, empfand ich diese Frau als Feind. Ich schwieg zunächst. Ich spürte, dass sie mich unter dem Schleier ansah – sie wollte mich zwingen zu sprechen. Aber ich gab nicht so leicht nach.
Ich begann zu sprechen, aber… ausweichend [161]… Ich tat, als ob ich sie nicht verstünde, denn – ich weiß nicht, ob Sie das nachfühlen können – ich wollte sie zwingen, deutlich zu werden, ich wollte nicht anbieten, sondern… gebeten sein… gerade von ihr, weil sie so herrisch [162]kam… Ich redete also herum, sagte, dass solche Ohnmachten gehörten zum regulären Lauf der Dinge, im Gegenteil, sie verbürgten [163]beinahe eine gute Entwicklung. Ich sprach lässig und leicht…wartete immer, dass sie mich unterbrechen würde. Denn ich wusste, sie würde es nicht ertragen. Da fuhr sie schon scharf dazwischen, mit einer Handbewegung gleichsam das ganze beruhigende Gerede wegstreifend.
„Das ist es nicht, Doktor, was mich unsicher macht. Damals, als ich meinen Buben bekam, war ich in bester Verfassung… aber jetzt bin ich nicht mehr allright [164]… ich habe Herzzustände…“
„Ach, Herzzustände“, wiederholte ich, scheinbar beunruhigt, „da will ich doch gleich nachsehen.“ Und ich machte eine Bewegung, als ob ich aufstehen und das Hörrohr holen wollte. Aber schon fuhr sie dazwischen. Die Stimme war jetzt ganz scharf und bestimmt – wie am Kommandoplatz.
„Ich habe Herzzustände, Doktor, und ich muss Sie bitten, zu glauben, was ich Ihnen sage. Ich möchte nicht viel Zeit mit Untersuchungen verlieren – Sie könnten mir, meine ich, etwas mehr Vertrauen entgegenbringen. Ich wenigstens habe mein Vertrauen zu Ihnen genug bezeugt.“
Jetzt war es schon Kampf, offene Herausforderung [165]. Und ich nahm sie an.
„Zum Vertrauen gehört Offenheit. Reden Sie klar, ich bin Arzt. Und vor allem, nehmen Sie den Schleier ab, setzen Sie sich her, lassen Sie die Bücher und die Umwege. Man kommt nicht zum Arzt im Schleier.“
Sie sah mich an, aufrecht und stolz. Einen Augenblick zögerte sie. Dann setzte sie sich nieder, zog den Schleier hoch. Ich sah ein Gesicht, ganz so wie ich es gefürchtet hatte, ein undurchdringliches [166]Gesicht, hart, beherrscht [167], von einer alterslosen Schönheit, ein Gesicht mit grauen englischen Augen, in denen alles Ruhe schien und hinter die man doch alles Leidenschaftliche träumen konnte. Dieser verpresste Mund gab kein Geheimnis her, wenn er nicht wollte. Eine Minute lang sahen wir einander an – sie befehlend und fragend zugleich, mit einer so kalten Grausamkeit, dass ich es nicht ertrug und unwillkürlich zur Seite blickte. Sie klopfte leicht mit dem Knöchel auf den Tisch.
Also auch in ihr war Nervosität. Dann sagte sie plötzlich rasch: „Wissen Sie, Doktor, was ich von Ihnen will, oder wissen Sie es nicht?“
„Ich glaube es zu wissen. Aber seien wir lieber ganz deutlich. Sie wollen Ihrem Zustand ein Ende bereiten… Sie wollen, dass ich Sie von Ihrer Ohnmacht, Ihren Übelkeiten befreie, indem ich… indem ich die Ursache beseitige. Ist es das?“
„Ja.“
Wie ein Fallbeil [168]zuckte das Wort.
„Wissen Sie auch, dass solche Versuche gefährlich sind… für beide Teile…?“
„Ja.“
„Dass es gesetzlich mir untersagt ist?“
„Es gibt Möglichkeiten, wo es nicht untersagt [169], sondern sogar geboten ist.“
„Aber diese erfordern eine ärztliche Indikation.“
„So werden Sie diese Indikation finden. Sie sind Arzt.“
Klar, ohne zu zucken, blickten mich ihre Augen dabei an. Es war ein Befehl. Aber ich krümmte mich noch, ich wollte nicht zeigen, dass ich schon zertreten war. – „Nur nicht zu rasch! Umstände machen! Sie zur Bitte zwingen“, funkelte in mir irgendein Gelüst [170].
„Das liegt nicht immer im Willen des Arztes. Aber ich bin bereit, mit einem Kollegen im Krankenhaus…“
„Ich will Ihren Kollegen nicht… ich bin zu Ihnen gekommen.“
„Darf ich fragen, warum gerade zu mir?“
Sie sah mich kalt an.
„Ich habe keine Bedenken, es Ihnen zu sagen. Weil Sie abseits wohnen, weil Sie mich nicht kennen – weil Sie ein guter Arzt sind, und weil Sie…“ – jetzt zögerte sie zum ersten Male – „wohl nicht mehr lange in dieser Gegend bleiben werden, besonders wenn Sie… wenn Sie eine größere Summe nach Hause bringen können.“
Mich überliefs kalt. Diese Kaufmannsklarheit der Berechnung betäubte mich. Bisher hatte sie ihre Lippen noch nicht zur Bitte aufgetan – aber alles längst auskalkuliert, mich erst umlauert und dann aufgespürt. Ich spürte, wie das Dämonische ihres Willens in mich eindrang, aber ich wehrte [171]mich mit all meiner Erbitterung. Noch einmal zwang ich mich, sachlich – ja fast ironisch zu sein. „Und diese große Summe würden Sie… würden Sie mir zur Verfügung stellen?“
„Für Ihre Hilfe und sofortige Abreise.“
„Wissen Sie, dass ich dadurch meine Pension verliere?“
„Ich werde sie Ihnen entschädigen [172].“
„Sie sind sehr deutlich… Aber ich will noch mehr Deutlichkeit. Welche Summe haben Sie als Honorar in Aussicht genommen?“
„Zwölftausend Gulden, zahlbar auf Scheck in Amsterdam.“
Ich… zitterte… ich zitterte vor Zorn und… ja auch vor Bewunderung. Alles hatte sie berechnet, die Summe und die Art der Zahlung, durch die ich zur Abreise genötigt war, sie hatte mich gekauft, ohne mich zu kennen. Am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht geschlagen… Aber wie ich zitternd aufstand – auch sie war aufgestanden – und ihr gerade Auge in Auge starrte, da überkam mich plötzlich bei dem Blick auf diesen verschlossenen Mund, der nicht bitten, auf ihre hochmütige Stirn, die sich nicht beugen wollte… eine… eine Art gewalttätiger [173]Gier. Sie musste irgendetwas davon fühlen, denn sie spannte ihre Augenbrauen hoch: der Hass zwischen uns war plötzlich nackt. Ich wusste, sie hasste mich, weil sie mich brauchte, und ich hasste sie, weil… weil sie nicht bitten wollte. Diese eine, diese eine Sekunde Schweigen sprachen wir zum ersten Mal ganz aufrichtig [174]zueinander. Dann biss sich plötzlich wie ein Reptil mir ein Gedanke ein, und ich sagte ihr… ich sagte ihr… Aber warten Sie, so würden Sie es falsch verstehen, was ich tat…ich muss Ihnen erst erklären, wie… wieso dieser wahnsinnige Gedanke in mich kam…“ Wieder klirrte [175]leise im Dunkel das Glas. Und die Stimme wurde erregter.
„Nicht, dass ich mich entschuldigen will… Aber Sie verstehen es sonst nicht… Ich weiß nicht, ob ich je so etwas wie ein guter Mensch gewesen bin, aber… ich glaube, hilfreich war ich immer… In dem dreckigen Leben da drüben war das ja die einzige Freude, irgendeinem Stück Leben den Atem erhalten zu können… so eine Art Herrgottsfreude… Wirklich, es waren meine schönsten Augenblicke. So ein gelber Bursch kam, blauweiß vor Schrecken, einen Schlangenbiss im hochgeschwollenen Fuß, und schon heulte, man solle ihm das Bein nicht abschneiden, und ich kriegte es noch fertig, ihn zu retten. Auch so wie diese es wollte, habe ich geholfen, schon in Europa drüben in der Klinik. Aber da spürte man wenigstens, dass dieser Mensch einen brauchte , da wusste man, dass man jemand vom Tode rettete oder vor der Verzweiflung – und das braucht man eben selbst zum Helfen, dies Gefühl, dass der andere einen braucht. Aber diese Frau – ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schildern kann – sie regte mich auf, reizte [176]mich von dem Augenblick, da sie scheinbar promenierend hereinkam, durch ihren Hochmut [177]zu einem Widerstand, sie reizte alles – wie soll ich sagen – sie reizte alles Versteckte, alles Böse in mir. Dass sie Lady spielte, unnahbar kühl ein Geschäft entrierte, wo es um Tod und Leben ging, das machte mich toll… Und dann… dann… schließlich wird man doch nicht schwanger von den Golfspielen… ich wusste… das heißt, ich musste plötzlich mit einer – und das war jener Gedanke – mit einer entsetzlichen Deutlichkeit mich daran erinnern, dass diese Hochmütige, diese Kalte, die steil die Augenbrauen über ihre stählernen Augen hochzog, als ich sie nur abwehrend… ja fast wegstoßend anblickte, dass sie sich zwei oder drei Monate vorher heiß im Bett mit einem Mann gewälzt hatte, nackt wie ein Tier und vielleicht stöhnend vor Lust, die Körper ineinander verbissen wie zwei Lippen… Das, das war der brennende Gedanke, der mich überfiel, als sie mich so hochmütig, so kühl, ganz wie ein englischer Offizier anblickte… und da, da spannte sich alles in mir… ich war besessen von der Idee, sie zu erniedrigen [178]… von dieser Sekunde sah ich durch das Kleid ihren Körper nackt… von dieser Sekunde an lebte ich nur im Gedanken, sie zu besitzen, ein Stöhnen aus ihren harten Lippen zu pressen, diese Kalte, diese Hochmütige in Wollust zu fühlen so wie jener, jener andere, den ich nicht kannte. Das… das wollte ich Ihnen erklären… Ich habe nie, so verkommen [179]ich war, sonst als Arzt die Situation zu nutzen gesucht… Aber diesmal war es ja nicht Geilheit [180], nichts Sexuelles, wahrhaftig nicht… ich würde es ja eingestehen… nur die Gier, eines Hochmuts Herr zu werden… Herr als Mann… Ich sagte es Ihnen, glaube ich, schon, dass hochmütige, scheinbar kühle Frauen von je über mich Macht hatten… aber jetzt, jetzt kam noch dies dazu, dass ich sieben Jahre hier lebte, ohne eine weiße Frau gehabt zu haben, dass ich Widerstand nicht kannte… Denn diese Mädchen hier, die zittern ja vor Ehrfurcht [181], wenn ein Weißer, ein „Herr“, sie nimmt… aber gerade diese Unterwürfigkeit [182], dieses Sklavische verschweint einem den Genuss… Verstehen Sie jetzt, wie das dann auf mich wirkte, wenn da plötzlich eine Frau kam, voll von Hochmut und Hass, verschlossen bis an die Fingerspitzen, zugleich funkelnd von Geheimnis und beladen mit früherer Leidenschaft… wenn eine solche Frau in den Käfig eines solchen Mannes, einer so vereinsamten, verhungerten, abgesperrten Menschenbestie eintritt… Das… das wollte ich nur sagen, damit Sie das andere verstehen… das, was jetzt kam. Also… voll von irgendeiner bösen Gier, vergiftet von dem Gedanken an sie, nackt, ballte ich mich gleichsam zusammen und täuschte Gleichgültigkeit [183]vor. Ich sagte kühl: „Zwölftausend Gulden?… Nein, dafür werde ich es nicht tun.“
Читать дальшеИнтервал:
Закладка: