Стефан Цвейг - Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen
- Название:Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen
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- Жанр:
- Издательство:Литагент «АСТ»c9a05514-1ce6-11e2-86b3-b737ee03444a
- Год:2014
- Город:Москва
- ISBN:978-5-17-085076-1
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Стефан Цвейг - Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen краткое содержание
В книгу вошли три новеллы известного немецкого писателя Стефана Цвейга: «Письмо незнакомки», «Амок» и «Шахматная новелла».
Драматические судьбы героев, любовь на грани жизни и смерти, глубокие душевные депрессии, мастерски описываемые автором, делают его новеллы сегодня особенно актуальными. Произведения подверглись незначительному упрощению, что позволило сохранить как сюжетную линию, так и живой немецкий язык.
Предназначается для изучающих немецкий язык (уровень 4 – для продолжающих верхней ступени).
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„Gewiss durften Sie nicht“, half ich ihm, um ihn zu bestärken – aber jetzt, da Sie wissen, dass Sie nur einen Lebenden kränken [267]würden und einer Toten ein Entsetzliches täten, werden Sie doch gewiss nicht zögern.“
Er nickte. Wir traten zum Tisch. Nach einigen Minuten war das Attest fertig (das dann auch in der Zeitung veröffentlicht wurde und glaubhaft eine Herzlähmung [268]schilderte). Dann stand er auf, sah mich an: „Sie reisen noch diese Woche, nicht wahr?“
„Mein Ehrenwort.“
Er sah mich wieder an. Ich merkte, er wollte streng, wollte sachlich erscheinen. „Ich besorge sofort einen Sarg“, sagte er, um seine Verlegenheit zu decken. Plötzlich streckte er mir die Hand hin und schüttelte sie mit einer aufspringenden Herzlichkeit. „Überstehen Sie’s gut“, sagte er – ich wusste nicht, was er meinte. War ich krank? War ich… wahnsinnig? Ich begleitete ihn zur Tür, schloss auf, aber das war meine letzte Kraft, die hinter ihm die Tür schloss. Dann kam dies Ticken wieder in die Schläfen, alles schwankte und kreiste: und gerade vor ihrem Bett fiel ich zusammen… so… so wie der Amokläufer am Ende seines Laufs sinnlos niederfällt mit zersprengten Nerven.“
Wieder hielt er inne [269]. Irgendwie fröstelte mich: war das erster Schauer des Morgenwinds, der jetzt leise sausend über das Schiff lief? Aber das gequälte Gesicht spannte sich wieder zusammen: „Wie lang ich so auf der Matte gelegen hatte, weiß ich nicht. Da rührte mich es an. Ich fuhr auf. Es war der Boy.
„Es will jemand herein… will sie sehen…“
„Niemand darf herein.“
„Ja… aber…“
Seine Augen waren erschreckt. Er wollte etwas sagen und wagte es doch nicht. Das treue Tier litt irgendwie eine Qual.
„Wer ist es?“
Er sah mich zitternd an wie in Furcht vor einem Schlag. Und dann sagte er – er nannte keinen Namen, dann sagte er… ganz, ganz ängstlich… „ Er ist es.“
Ich fuhr auf, verstand sofort und war sofort ganz Gier, ganz Ungeduld nach diesem Unbekannten. Denn sehen Sie, wie sonderbar… inmitten all dieser Qual, in diesem Fieber von Verlangen, von Angst und Hast hatte ich ganz an „ihn“ vergessen… vergessen, dass da noch ein Mann im Spiele war… der Mann, den diese Frau geliebt, dem sie leidenschaftlich das gegeben, was sie mir verweigert [270]… Vor zwölf, vor vierundzwanzig Stunden hätte ich diesen Mann noch gehasst, ihn noch zerfleischen können… Jetzt… ich kann, ich kann Ihnen nicht schildern, wie es mich jagte, ihn zu sehen… ihn… zu lieben, weil sie ihn geliebt.
Mit einem Ruck war ich bei der Tür. Ein junger, ganz junger blonder Offizier stand dort, sehr linkisch [271], sehr schmal, sehr blass. Wie ein Kind sah er aus, so… so rührend jung… und unsäglich erschütterte mich gleich, wie er sich mühte, Mann zu sein, Haltung zu zeigen… Ich sah sofort, dass seine Hände zitterten, als er zur Mütze fuhr… Am liebsten hätte ich ihn umarmt… weil er ganz so war, wie ich mir es wünschte, dass der Mann sein sollte, der diese Frau besessen… kein Verführer, kein Hochmütiger… nein, ein halbes Kind, ein reines Wesen, dem sie sich geschenkt. Ganz befangen stand der junge Mensch vor mir. Mein gieriger Blick, mein leidenschaftlicher Aufsprung machten ihn noch mehr verwirrt.
„Verzeihen Sie“, sagte er dann endlich. „Ich hätte gerne Frau… gerne noch… gesehen.“ Unbewusst, ganz ohne es zu wollen, legte ich ihm, dem Fremden, meinen Arm um die Schulter, führte ihn, wie man einen Kranken führt. Er sah mich erstaunt an mit einem unendlich warmen und dankbaren Blick… irgendein Verstehen unserer Gemeinschaft war schon in dieser Sekunde zwischen uns beiden… Wir gingen zu der Toten… Sie lag da, weiß, in den weißen Linnen – ich spürte, dass meine Nähe ihn noch bedrückte… so trat ich zurück, um ihn allein zu lassen mit ihr. Er ging langsam näher mit… er ging so wie… wie einer, der gegen einen ungeheuren Sturm geht… Und plötzlich brach er vor dem Bett in die Knie… genau so, wie ich hingebrochen war.
Ich sprang sofort vor, hob ihn empor und führte ihn zu einem Sessel. Er schämte sich nicht mehr, sondern schluchzte seine Qual heraus. Ich vermochte nichts zu sagen – nur mit der Hand strich ich ihm unbewusst über sein blondes, kindlich weiches Haar. Er griff nach meiner Hand… ganz lind und doch ängstlich… und mit einem Mal fühlte ich seinen Blick an mir hängen…
„Sagen Sie mir die Wahrheit, Doktor“, stammelte er, „hat sie selbst Hand an sich gelegt [272]?“
„Nein“, sagte ich. „Und ist… ich meine… ist irgend… irgendjemand schuld an ihrem Tode?“ „Nein“, sagte ich wieder, obwohl ich wollte entgegenschreien: „Ich! Ich! Ich!.. Und du!.. Wir beide! Und ihr Trotz, ihr unseliger Trotz!“ Aber ich hielt mich zurück. Ich wiederholte noch einmal: „Nein… niemand hat schuld daran… es war ein Verhängnis [273]!“
„Ich kann es nicht glauben“, stöhnte er, „ich kann es nicht glauben. Sie war noch vorgestern auf dem Balle, sie lächelte, sie winkte mir zu. Wie ist das möglich, wie konnte das geschehen?“
Ich erzählte eine lange Lüge. Auch ihm verriet ich ihr Geheimnis nicht. Wie zwei Brüder sprachen wir zusammen alle diese Tage… und das wir einander nicht anvertrauten, aber wir spürten einer vom andern, dass unser ganzes Leben an dieser Frau hing… Nie hat er erfahren, dass sie ein Kind von ihm trug… dass ich das Kind, sein Kind, hätte töten sollen, und dass sie es mit sich selbst in den Abgrund gerissen. Und doch sprachen wir nur von ihr in diesen Tagen, während derer ich mich bei ihm verbarg… denn – das hatte ich vergessen, Ihnen zu sagen – man suchte nach mir…
Ihr Mann war gekommen, als der Sarg schon geschlossen war… er wollte den Befund [274]nicht glauben… und er suchte mich. Aber ich konnte es nicht ertragen, ihn zu sehen, ihn, von dem ich wusste, dass sie unter ihm gelitten [275]… Vier Tage ging ich nicht aus dem Hause, gingen wir beide nicht aus der Wohnung… ihr Geliebter hatte mir unter einem falschen Namen einen Schiffsplatz genommen, damit ich flüchten könne… wie ein Dieb bin ich nachts auf das Deck geschlichen, dass niemand mich erkennt… Alles habe ich zurückgelassen, was ich besitze… und die Herren von der Regierung haben mich wohl schon gestrichen, weil ich ohne Urlaub meinen Posten verließ… Aber ich konnte nicht leben mehr in diesem Haus, in dieser Stadt… in dieser Welt, wo alles mich an sie erinnert… wie ein Dieb bin ich geflohen in der Nacht… nur sie zu vergessen…Aber… wie ich an Bord kam… nachts… mitternachts… mein Freund war mit mir… da… da… zogen sie gerade am Kran etwas herauf… rechteckig [276], schwarz… ihren Sarg… hören Sie: ihren Sarg… sie hat mich hierher verfolgt, wie ich sie verfolgte… und ich musste dabeistehen, mich fremd stellen, denn er, ihr Mann, war mit… er begleitet ihn nach England… vielleicht will er dort eine Autopsie [277]machen lassen….. jetzt gehört sie wieder ihm… nicht uns mehr, uns… uns beiden… Aber ich bin noch da… ich gehe mit bis zur letzten Stunde… er wird, er darf es nie erfahren… ihr Geheimnis gehört mir, nur mir allein… Verstehen Sie jetzt… verstehen Sie jetzt… warum ich die Menschen nicht sehen kann… ihr Gelächter nicht hören… wenn sie flirten und sich paaren… denn da drunten… drunten im Lagerraum steht der Sarg verstaut…
Ich kann nicht hin, der Raum ist versperrt… aber ich weiß es mit allen meinen Sinnen, weiß es in jeder Sekunde… auch wenn sie hier Walzer spielen und Tango… diese Tote, ich spüre sie, und ich weiß, was sie von mir will… ich weiß es, ich habe noch eine Pflicht… ich bin noch nicht zu Ende… noch ist ihr Geheimnis nicht gerettet… sie gibt mich noch nicht frei…“
Vom Mittelschiff [278]kamen schlurfende [279]Schritte: Matrosen begannen das Deck zu scheuern [280]. Er stand auf und murmelte: „Ich gehe schon… ich gehe schon.“ Es war eine Qual, ihn anzuschauen: seinen verwüsteten [281]Blick, die gedunsenen Augen, rot von Trinken oder Tränen. Ich spürte aus seinem Wesen Scham, unendliche Scham, sich verraten zu haben an mich, an diese Nacht. Unwillkürlich sagte ich: „Darf ich vielleicht nachmittags zu Ihnen in die Kabine kommen…“
Er sah mich an – ein harter, zynischer Zug zerrte an seinen Lippen, etwas Böses stieß und verkrümmte jedes Wort.
„Aha… Ihre famose Pflicht, zu helfen… aha… Mit der Maxime haben Sie mich ja glücklich zum Schwatzen [282]gebracht. Aber nein, mein Herr, ich danke. Glauben Sie ja nicht, dass mir jetzt leichter sei. Mein verpfuschtes [283]Leben kann mir keiner mehr zusammenflicken… ich habe eben umsonst der holländischen Regierung gedient… die Pension ist futsch [284], ich komme als armer Hund nach Europa zurück… ein Hund, der hinter einem Sarg herwinselt [285]… man läuft nicht lange ungestraft Amok, am Ende schlägts einen doch nieder, und ich hoffe, ich bin bald am Ende… Nein, danke, mein Herr, für Ihren gütigen Besuch… ich habe schon in der Kabine meine Gefährten [286]… ein paar gute alte Flaschen Whisky, die trösten mich manchmal, und dann meinen Freund von damals, an den ich mich leider nicht rechtzeitig gewandt habe, meinen braven Browning… Bitte, bemühen Sie sich nicht… das einzige Menschenrecht, das einem bleibt, ist doch: zu krepieren [287]wie man will… und dabei ungeschoren zu bleiben von fremder Hilfe.“
Er sah mich noch einmal höhnisch [288]… ja herausfordernd an, aber ich spürte: es war nur Scham, grenzenlose Scham. Dann duckte er die Schultern, wandte sich um, ohne zu grüßen, und ging merkwürdig schief über das schon helle Verdeck den Kabinen zu. Ich habe ihn nicht mehr gesehen. Vergebens [289]suchte ich ihn nachts und die nächste Nacht an der gewohnten Stelle. Er blieb verschwunden, und ich hätte an einen Traum geglaubt oder an eine phantastische Erscheinung, wäre mir nicht inzwischen unter den Passagieren ein anderer aufgefallen, mit einem Trauerflor um den Arm, ein holländischer Großkaufmann, der eben seine Frau an einer Tropenkrankheit verloren hatte. Ich bog immer zur Seite, wenn er vorüberkam, um nicht mit einem Blick zu verraten, dass ich mehr von seinem Schicksal wusste als er selbst.
Im Hafen von Neapel ereignete sich dann jener merkwürdige Unfall, dessen Deutung ich in der Erzählung des Fremden zu finden glaube. Die meisten Passagiere waren abends von Bord gegangen, ich selbst in die Oper und dann noch in eines der hellen Cafés an der Via Roma. Als wir mit einem Ruderboot [290]zu dem Dampfer zurückkehrten, fiel mir schon auf, dass einige Boote mit Fackeln und Azetylen Lampen das Schiff suchend umkreisten, und oben am dunklen Bord war ein geheimnisvolles Gehen und Kommen von Gendarmerie. Ich fragte einen Matrosen, was geschehen sei. Er wich in einer Weise aus, die sofort zeigte, dass Auftrag zum Schweigen gegeben sei, und auch am nächsten Tage war nichts an Bord zu erfahren.
Erst in den italienischen Zeitungen las ich dann romantisch ausgeschmückt, von jenem angeblichen Unfall im Hafen von Neapel. In jener Nacht sollte der Sarg einer vornehmen Dame aus den holländischen Kolonien von Bord des Schiffes auf ein Boot gebracht werden, und man ließ ihn eben in Gegenwart [291]des Gatten die Strickleiter [292]herab, als irgendetwas Schweres vom hohen Bord niederstürzte und den Sarg mit den Trägern und dem Gatten mit sich in die Tiefe riss. Eine Zeitung behauptete, es sei ein Irrsinniger gewesen, der sich die Treppe hinab auf die Strickleiter gestürzt habe, eine andere beschönigte [293], die Leiter sei von selbst unter dem übergroßen Gewicht gerissen: jedenfalls schien die Schifffahrtsgesellschaft alles getan zu haben, um den genauen Sachverhalt zu verschleiern [294]. Man rettete nicht ohne Mühe die Träger und den Gatten der Verstorbenen mit Booten aus dem Wasser, der Bleisarg aber ging sofort in die Tiefe und konnte nicht mehr geborgen werden.
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