Генрих Фосслер - На войне под наполеоновским орлом. Дневник (1812-1814) и мемуары (1828-1829) вюртембергского обер-лейтенанта Генриха фон Фосслера
- Название:На войне под наполеоновским орлом. Дневник (1812-1814) и мемуары (1828-1829) вюртембергского обер-лейтенанта Генриха фон Фосслера
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- Жанр:
- Издательство:Новое литературное обозрение
- Год:2017
- Город:Москва
- ISBN:978-5-4448-0568-8
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Генрих Фосслер - На войне под наполеоновским орлом. Дневник (1812-1814) и мемуары (1828-1829) вюртембергского обер-лейтенанта Генриха фон Фосслера краткое содержание
На войне под наполеоновским орлом. Дневник (1812-1814) и мемуары (1828-1829) вюртембергского обер-лейтенанта Генриха фон Фосслера - читать онлайн бесплатно полную версию (весь текст целиком)
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Der General Normann hatte, die Schwierigkeiten erwägend, // S. 79// die mit unserem Marsche auf der großen Heerstraße verbunden seyn würden, mit unserer Zustimmung den Entschluß gefaßt, auf Seitenwegen nach Olitta hin zu ziehen, und zu diesem Ende hatte er einen Juden angeworben, der als Wegweiser dienen sollte. Eben darum aber, weil wir nicht mit der grosen Masse der Flüchtlinge ziehen wollten, hatten wir unsern Abmarsch von Wilna so lange als möglich verschoben, und verließen diese Stadt erst am 9. Dec[em]b[e]r Vormittags, wenige Stunden vor der Ankunft der Russen. Unser Weg führte meistens durch Waldungen auf ungebahnten Strassen, durch wenige Dörfer, deren Einwohner alle noch da waren, und uns mit Nahrungsmitteln versahen. Zweimal übernachteten wir und am dritten Tage Mittags erreichten wir ohne irgend einen Unfall das Städtchen Olitta, am Ufer des Niemen gelegen. Hier stärkten wir uns mit einem tüchtigen Glase Schnaps, und zogen denn feierlich über den gefrorenen Fluß mit Empfindungen des Dankes für unsere Rettung. So hatten wir uns114 als wir wenige Monate vorher diesen Fluß mit den grösten Erwartungen überschritten, die Rückkehr nicht gedacht, aber es war uns gut, daß wir davon nicht die leiseste Ahnung hatten, denn wer hätte Geistesstärke genug gehabt, solchem Ungemach, wie wir es so eben erduldet hatten, entgegen zu gehen? — Auf dem diesseitigen Ufer des Niemen, schon im Herzogthum Warschau, liegt ein Dörfchen, das uns recht erträgliche Quartiere bot, aber der Kälte und unserer Entkräftung nicht achtend, eilten wir, uns von dem unglückseligen // S. 80// Flusse zu entfernen, der die Reihe unserer Leiden eröffnet hatte. Noch am nämlichen Tage giengen wir bis Lieziskelli und an den zwey folgenden Tagen durch Szemno nach Kalvary , wo sich die Gesellschaft trennte, und jeder den Weg einschlug, auf dem er am schnellsten und besten fortzukommen hoffte.
Ehe ich aber weiter gehe, und meine Rückreise ins Vaterland erzähle, will ich noch einen Blick zurückwerfen auf den Rückzug aus Rußland, und ein allgemeines Gemälde desselben zu geben versuchen, denn von jetzt an zähle ich mich nicht mehr als ein Mitglied der grosen Armee, ich habe von ihr nichts mehr zu sagen, nur allein von mir als einem einzelnen Reisenden zu reden. Das Gemälde des Rückzuges will ich aber so geben, wie ich es mit meinen eigenen Augen gesehen habe, nur Thatsachen will ich schildern, deren Augen- oder Ohrenzeuge ich selbst war, und nur weniges will ich anführen, das ich von andern, jedoch glaubwürdigen Personen gehört habe.
Mit dem Abmarsch des Kaisers von Moskau beginnt der Rückzug. Dort fieng die Auflösung der Armee an; viele Regimenter hatte beinahe alle ihre Mannschaft, die Cavallerie, Artillerie, der [sic!] Train, ihre Pferde verloren.
Es fehlte an Magazinen, jeder war sich selbst überlassen, mußte selbst für seinen Unterhalt sorgen. Als die Armee Moskau verließ, hätte sie durch die indessen Genesenen wieder bedeutend stärker // S. 81// seyn sollen, statt dessen war sie um vieles schwächer geworden. Einige mehr oder weniger bedeutende — meistens unglückliche {679} 679 Zweiter Gedankenstrich fehlt im Original.
Gefechte reichten hin, die Auflösung allgemein zu machen. Bey Dorogobusz stiessen die ersten Flüchtlinge zu uns. Sie waren alle in Moskau gewesen, dort hatten sie geplündert, dort hatten sie mitgenommen, was mitzunehmen war. Wir waren erstaunt über ihren Aufzug. Wenige waren ohne Waffen, die meisten nur mit Einem Waffenstück versehen, und war es auch ein Schießgewehr, so war es entweder unbrauchbar, oder fehlte dem Besitzer die Munition. Es waren keine Soldaten mehr, nur Marodeurs und Traineurs {680} 680 Herumtreiber.
, ohne alle Disciplin, mit einzelnen Monti- rungsstücken {681} 681 Uniformstücke.
behängen, aber reichlich bepackt mit wollenen Tüchern, Leinwand, seidenen Zeugen aller Art und Farben, Pelzen von Herren und Damen, Schlüpfern, Paladinen {682} 682 Paladin/Palatin: „wollener Schlips“ (von franz. „palatine“, Halspelz, Pelzkragen).
, Krägen, Mänteln vom Zobelpelz herab, bis zum Schaafpelz, Hüten, Kappen und Mützen von allen Formen, Schuhen, Stiefeln, Stutzen und Reitermänteln, Küchengeräth von Kupfer, Messing, Eisen, Blech, von jeder Form, Haushaltungsgegenständen, wie Löffel, Gabeln, Messer von Silber, Blech und Eisen, zinnernen Tellern und Schüsseln, Gläsern und Bechern, Scheeren, Nadeln, Faden, Wachs p.p., kurz mit allen Gegenständen, die der Reisende zu Fuß und zu Wagen, der Handwerker, der Künstler, nur immer bedarf. Manche erschienen zu Fuß, und hatten ihre Beute schon verloren, oder weggeworfen, viele kamen zu Pferde, meistens // S. 82// auf elenden russischen Bauerpferden, andere auf Wagen, Troschken, in Chaisen {683} 683 (Kleinere) Kutschen.
aller Art, in Staatskarossen. Mancher gemeine Soldat hatte zu seiner und der Bedienung seiner Pferde, zu Besorgung seiner 2. 3. 4. Chaisen und Karossen, andere gemeine Soldaten als Bediente angenommen. Dieß war der Aufzug, in dem sich uns die ersten Flüchtlinge zeigten. Diesen folgte täglich eine grösere Zahl. Mit diesem Volke, das sich seiner und seiner Leute Sicherheit wegen, an unser Detaschement angeschlossen hatte, zogen wir weiter. Alle Subordination120 hatte aufgehört. Wenn Feinde sich zeigten, so drängten sich die Elenden, wie Schaafe vor dem Wolfe, in einem Haufen zusammen, und überließen die Gegenwehr uns und andern, die noch nicht alles Ehrgefühl abgelegt hatten. War aber
der Feind wieder aus dem Gesicht verschwunden, so waren sie die vordersten und lautesten, und waren irgendwo Lebensmittel zu finden, so waren sie es, die solche den Bewaffneten, ihren Beschützern, weghaschten. Je weiter aber der Rückzug sich fortsetzte, desto mehr Truppen lösten sich auf, desto größer war die Zahl jener Unglücklichen. Täglich erschöpften sich viele durch die mühsame Fortbringung ihrer Beute, täglich blieben viele zurück, und fielen selbst als Beute in die Hände der Russen. Andere Klügere warfen bey Zeiten den Raub weg, ließen Kutschen und Wagen stehen, und suchten sich Waffen zu verschaffen. Lebensmittel hatten die wenigsten mitgebracht, nur um Geld und Geldeswerth drehte sich ihr Sinn, daher // S. 83// je weiter wir zogen, desto schwerer fanden wir unsern Unterhalt. Viele lebten von Zucker, und wenn dieser aufgezehrt war, von Pferdefleisch, oder Fleisch von gefallenem, zum Theil schon verwesendem Vieh. In einem Dorfe sah ich Franzosen, wie sie Vieh, das wahrscheinlich an einer Seuche gestorben war, aus einem Loche ausgruben, über dem Feuer rösteten, und mit gröstem Appetit verzehrten. Alle diese Drangsale vermehrte und erhöhte der Frost, der am 8. Nov[em]b[e]r eintrat. Nun wurden die eingepackten Kleidungsstücke hervorgezogen, und der ganze Zug glich einer Masquerade. Der Weg war ganz abgeglättet. Mühsam schleppte sich der Fußgänger auf dem schlüpfrigen Boden fort, mühsam giengen die Pferde, die längst beschlaglos waren. In jedem Defilee entstand die entsetzlichste Verwirrung. Hunderte von Wägen häuften sich, jeder suchte dem andern vorzufahren, keiner wollte Zurückbleiben, die armen Pferde wurden gräßlich mißhandelt, ein, zwey, drey und mehrere Defileen überwanden sie glücklich, endlich blieben sie stecken, und vermochten die Last nicht mehr herauszuziehen. Die Wägen, die nicht weiter gebracht werden konnten, wurden umgestürzt, zertrümmert, verbrannt, die Effecten geplündert, die Kanonen, wo möglich, ins Wasser versenkt, oft vernagelt, zulezt gerade zu121 stehen gelassen. Der Cavallerist trieb sein Konji mit dem Sattel beladen, mit der Beute behängt vor sich her, endlich blieb es stehen oder liegen, und nun diente es seinem Herrn noch zur Nahrung. Die Kraftlosen suchten irgend ein Feuer, ein Haus zu erreichen, // S. 84// und wenn sie sich etwas erholt hatten, und wieder weiter zu gehen vermochten, so wurde das Haus, um sich zuvor noch zu wärmen, angezündet, oder thaten dieß andere, die sich während des Marsches eine halbe Stunde lang wärmen wollten. Das NachtQuartier suchte man wo möglich in Dörfern zu nehmen. Jedes Haus mußte der Unglücklichen so viele aufnehmen, als der Raum gestattete, aber noch weit mehrere brachten die Nacht unter freiem Himmel zu, und zündeten oft, theils um sich zu wärmen, theils
aus Neid gegen ihre Kameraden das Obdach an, in dem sich leztere befanden, während diese das brennende Haus oft nicht verlassen wollten, sondern lieber aus Furcht zu erfrieren mit verbrannten. Solche Vorfälle wurden bald bekannt, und hatten zur Folge, daß der Stärkere immer dem Stärkeren sich anschloß, daß derselbe den Schwächeren aus den Wohnungen vertrieb, Schildwachen gegen diese, als gegen Feinde, ausstellte, daß oft um den kurzen Besitz eines Hauses lange Schlägereien, Mord und Todtschlag entstanden. Die Schwächeren, genöthigt, unter freiem Himmel zu campiren, suchten Holz zum Feuer zusammen, brachten, wo die Stärkeren nicht auf ihrer Hut waren, einzelne Theile der Häuser weg, deckten die Strohdächer ab, stahlen die Pferde, die Bagage ihrer Kameraden. Oft aber, sehr oft, vermochten sich diese Unglücklichen nicht mehr bis in die Nähe von Wohnungen zu schleppen, sondern blieben auf dem nächsten besten Platz liegen, und giengen da in der Nacht zu Grunde, oder wenn sie so glücklich gewesen waren, irgend // S. 85// ein verlassenes Feuer zu erreichen, so lagerten sie sich um dasselbe herum, und wurden, zu kraftlos, um Holz herbey zu bringen, und das Feuer zu unterhalten, des andern Morgens todt gefunden. Diese Leichen, fest gefroren, am Morgen von dem ersten Vorüberziehenden ausgeplündert, dienten dann als Sitze für die Nachkommenden, die stehen gebliebene Wägen zusammenschlugen, oder bespannte Wägen mit Gewalt Wegnahmen, und sich davon Feuer anzündeten. Viele schleppten sich schon halb todt an Feuer hin, streckten die Glieder, um recht bald zu erwärmen, in die Glut, und starben halb erfroren, halb verbrannt. Je länger der Rückzug währte, desto gräslicher war der Anblick der Flüchtlinge. In der furchtbarsten Kälte sah man Einzelne ohne Mantel, ohne Pelz, in leichten Fräcken, mit Nankinhosen {684} 684 Nankinghosen (Hose aus leinwandartigem Katun-Gewebe, wurde vor allem im Sommer getragen).
daherziehen, sah, wie der Frost auf sie wirkte, wie ihre Glieder nach und nach erstarrten, wie sie niederstürzten, sich wieder aufrafften, wieder stürzten, um nicht mehr aufzustehen. Der Mangel einer guten und zweckmäsigen Fußbekleidung kostete Unzähligen das Leben. Bey manchen waren durch die zerrissenen Schuhe oder Stiefel die nackten Zehen sichtbar, anfangs blutroth, dann erfroren — dunkelblau oder braun, endlich schwarz. Andere hatten die Füsse mit Lumpen, mit Lederstücken, Bast, Schaaf- oder anderen Fellen umwickelt, und diese retteten ihre Fußzehen, wofern sie wieder anderes Material zum Einwickeln für das durchgetretene fanden. Unzählige {685} 685 Richtig: Unzähligen.
, die so glücklich waren, ihr Leben durchzubringen, erfroren Hände, Füsse, Nasen, Ohren, sehr vielen fielen // S. 86// Finger, Zehen ab, anderen mussten dieselben, oft der ganze Arm oder Fuß abge nommen werden. Wie die Kälte Verheerungen anrichtete, ebenso that es der Hunger. Kein Nahrungsmittel war so schlecht, daß es nicht seine Liebhaber gefunden hätte. Kein gefallenes Pferd oder Vieh wurde verschmäht, kein Hund, keine Katze, überhaupt kein Aas, selbst Menschenfleisch, die Leichname der Erfrorenen und Verhungerten dienten oft den Uebrigen zur Nahrung. Es geschah sogar, daß Menschen zu Stillung des Hungers den eigenen Körper, Hände und Arme benagten. Aber nicht allein der physische Mensch litt das Unsäglichste, auch der geistige war von der Kälte in Verbindung mit dem Hunger angegriffen. Alles menschliche Gefühl war erstorben, jeder dachte und sorgte nur für sich, der Zustand seines Kameraden kümmerte ihn nicht. Gleichgültig sah er ihn todt niederstürzen, gefühllos nahm er auf seiner Leiche an dem Feuer Platz. Dumpfe Verzweiflung, tobender Wahnsinn hatte viele ergriffen, unter den grösten Verwünschungen gegen Himmel und Erde hauchten sie ihren Geist aus. Andere waren zu Kindern geworden, und giengen darum zu Grunde, wenn vielleicht ihre physischen Kräfte sie wohl hätten retten mögen. Wieder andere starrten in einem Stumpfsinn dahin, der sie das Rettungsmittel übersehen ließ, und gerade dem Untergang entgegen führte. Alle aber hatten wohl an ihrer geistigen Kraft — wenigstens für einige Zeit — Schaden genommen, und bey den // S. 87// meisten offenbarte sich dieß durch Gleichgültigkeit und Stumpfsinn. Der Soldat nannte es den Moskauer Tippei. {686} 686 Hier: Stumpfheit, Blödheit, Torheit.
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